Verbraucherfreundliche Kommissionsvorschläge EU will Recht auf Reparatur schaffen

Brüssel · 77 Prozent der EU-Bürger fühlen sich persönlich verantwortlich für den Stopp des Klimawandels. Sie können künftig mehr dafür tun.

 An einem Kaffee-Vollautomaten in einer Reparaturwerkstatt werden elektronische Messgrößen ermittelt.

An einem Kaffee-Vollautomaten in einer Reparaturwerkstatt werden elektronische Messgrößen ermittelt.

Foto: dpa/Sebastian Willnow

EU-Kommissare mögen das Schnüren von Paketen. Und so stellten Klimakommissar Frans Timmermans, Justizkommissar Didier Reynders und Umweltkommissar Virginijus Sinjevicius am Mittwoch nicht nur die seit Langem erwarteten und wiederholt verschobenen Pläne für ein Recht auf Reparatur vor, sondern gleich auch die Daumenschrauben auf den Tisch, mit denen sie die Unternehmen zu mehr Ehrlichkeit in Sachen Ökowerbung zwingen wollen. Beide zusammen werden den Verbrauchern mehr Substanz für bewusste Kaufentscheidungen geben, mit denen sie die Vermüllung verringern, unnötige Produktionen vermeiden und seltene Rohstoffe schonender einsetzen können.

Das neue europäische Reparatur-Prinzip besteht nach den Vorstellungen der Kommission aus vier grundsätzlichen Vorgaben. Während der gesetzlichen Garantie müssen Verkäufer Reparaturen anbieten, es sei denn, diese werden voraussichtlich teurer, als ein kompletter Ersatz kosten würde. Danach gilt für Produkte, die die EU als technisch reparierbar eingestuft hat, ein je nach Art fünf bis zehn Jahre währender Anspruch auf Reparatur, so weit das technisch möglich ist. Total zerstörte Kühlschränke fallen also beispielsweise nicht darunter.

Über nationale Online-Plattformen Kontakt aufnehmen

Das dritte Element besteht aus nationalen Online-Plattformen, über die Verbraucher mit Reparaturdiensten Kontakt aufnehmen und Preise und Leistungen vergleichen können. Schließlich sollen die Produkte ihre Reparaturfähigkeit bereits auf dem Etikett aufweisen – in Verbindung mit einem Reparaturformular und noch zu entwickelnden EU-einheitlichen Reparaturstandards.

Die Auswirkungen der Wegwerfgesellschaft auf Klima, Kosten und Ressourcen berechnete die Kommission mit jährlich 35 Millionen vermeidbarer Abfälle, 30 Millionen Tonnen verschwendeter Rohstoffe und 261 Millionen Tonnen unnötiger, mit der Produktion überflüssiger neuer Produkte verbundener Treibhausgasemissionen. Die Verbraucher selbst könnten zudem zwölf Milliarden Euro pro Jahr sparen, wenn sie von der Gleichung kaputt=neu zu defekt=repariert wechseln würden. Deutlich bescheidener fallen die Schätzungen der Kommission zu den erwarteten Effekten ihres eigenen Vorschlages aus. Damit könnten sich über 15 Jahre 18,5 Millionen Tonnen Treibhausgase einsparen, Ressourcen von 1,8 Millionen Tonnen erhalten und Abfälle im Umfang von drei Millionen Tonnen vermeiden.

Tüv-Verband regt ein eingängiges Prüfzeichen an

Der Tüv-Verband regte an, ein eingängiges Prüfzeichen zu entwickeln. „Ready for Repair“ (Bereit zur Reparatur) könnten alle Produkte erhalten, für die Ersatzteile vorgehalten würden, deren Teile einfach ausgetauscht werden könnten oder für deren Software eine Update-Garantie gegeben werde. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) meldete Bedenken an. Insbesondere viele mittlere und kleinere Unternehmen seien derzeit betrieblich nicht in der Lage, den Anspruch auf Reparatur in der Praxis umzusetzen. Unter anderem das längere Vorhalten von Ersatzteilen und die Rücknahme von fehlerhaften Geräten bedeuteten „zahlreiche logistische und finanzielle Belastungen“. Deshalb solle die EU „viel stärker auf Freiwilligkeit und Anreize für Unternehmen“ setzen.

Im Parlament, das nun wie der Rat der Mitgliedstaaten die Vorschläge eingehend erörtern und verändern wird, überwogen die grundsätzlich positiven Reaktionen. Allerdings kamen auch hier bereits eine Reihe von Verbesserungen zur Sprache. So merkte Andreas Schwab von der CDU an, das Recht auf Reparatur während der zweijährigen Gewährleistung auch auf selbstverschuldete Schäden auszuweiten, könnte nicht für alle Güter funktionieren, sondern müsse für jedes einzelne Produkt festgelegt werden.

Parallel zum Recht auf Reparatur legte die EU-Kommission eine Initiative auf den Tisch, mit der einheitliche Kriterien gegen Grünfärberei und irreführende Umweltaussagen geschaffen werden sollen. Nach einer Studie von 2020 wurden 53,3 Prozent der geprüften Umweltaussagen in der EU als vage, irreführend oder unfundiert beurteilt, 40 Prozent waren nicht belegt, wie etwa der „ozeanfreundliche Sonnenschutz“. Bevor Unternehmen eine Umweltaussage in ihren Verbraucherinformationen aufnehmen, müssen sie danach die Aussagen künftig unabhängig überprüfen lassen und anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse belegen.

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